Was ist Rechtliche Volkskunde?

Der Begriff „Rechtliche Volkskunde“ geht auf den bedeutenden Heidelberger Rechtshistoriker Eberhard Freiherr von Künßberg (1881-1941; zur Person in Wikipedia) zurück, der den Ausdruck in Übersetzung der französischen „folklore juridique“ prägte (vgl. etwa E. v. Künßberg, Rechtsgeschichte und Volkskunde, in: Jahrbuch für historische Volkskunde 1925, S. 67-125, 69 ff.).

„Rechtliche Volkskunde“ wurde fast allgemein als prägnanter und klarer empfunden als alle anderen Vorschläge zur Betitelung der damals aufblühenden Fachrichtung, etwa „Volksrechtskunde“ (Claudius von Schwerin) oder „rechtsgeschichtliche Volkskunde“ (Karl Frölich), weshalb sich die Bezeichnung schnell durchsetzen konnte (Nachweise bei: Karl-Siegfried Bader, Gesunkenes Rechtsgut – Zur Begriffsbildung und Terminologie in der Rechtlichen Volkskunde, in Kunst und Recht – Festgabe für Hans Fehr, Karlsruhe 1948, S. 7-25, 11, nachgedruckt in: Ders., Ausgewählte Schriften zur Rechts- und Landesgeschichte, Bd. 1, hrsg. von Clausdieter Schott, Sigmaringen 1984, S. 107-123).

In der neueren Forschung gab es verschiedene Versuche, der Fachrichtung eine neue Bezeichnung zu geben, etwa als „Legal Ethnologie“ oder „Rechtskulturgeschichte“ (Hans Hattenhauer), die sich bislang jedoch nicht durchsetzen konnten.


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Forschungsgegenstand und Geschichte der rechtlichen Volkskunde

Roland in Halle an der Saale

Rolandsfigur am Marktplatz von Halle (Saale): Symbol für städtische Freiheit und Justizhoheit

Forschungsgegenstand ist die rechtliche Volkskunde bereits seit dem 18. Jahrhundert. Als frühe Vertreter können beispielsweise Justus Möser (1729-1794), Carl Henrich Dreyer (1723-1802), Tileman Dothias Wiarda (1746-1826) oder Carl Gustav Homeyer (1795-1874) gelten. Die berühmten „Deutschen Rechtsalterthümer“ (1. Auflage Göttingen 1828) von Jacob Grimm (1785-1863) fächern die unterschiedlichen Aspekte der Disziplin in ihrer vollen Breite auf. Grimm warnte in der Einleitung zu seinen „Rechtsalterthümern“ (p. VII) den Rechtshistoriker vor Einseitigkeit; zum Verständnis der „vielgestaltige[n] erscheinung des alten“ genüge nicht der Blick auf die Rechtsdogmatik, der sorgsam arbeitende Rechtshistoriker habe auch „materialien für das sinnliche element der deutschen rechtsgeschichte, so viel er ihrer habhaft werden konnte, vollständig und getreu zu sammeln“.

Aus dem 19. Jahrhundert sind ferner insbesondere Eduard Osenbrüggen (1809-1879), Heinrich Zoepfl (1807-1877) und Heinrich Gottfried Gengler (1817-1901) zu erwähnen (hierzu etwa Hermann Baltl, Rechtliche Volkskunde und Rechtsarchäologie, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 48, 1952, S. 65-82). Karl von Amira (1848-1930) spannte mit Werken wie „Thierstrafen und Thierprocesse“ (1891), „Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels“ (1905) und „Der Stab in der germanischen Rechtssymbolik“ (1909) die gesamte Bandbreite des Faches aus.

Der Namensgeber des Fachs Eberhard Freiherr von Künßberg beschrieb 1925 als Aufgabengebiet der rechtlichen Volkskunde zum einen die „Volksüberlieferung“, etwa „Volkslied, Märchen, Schwank, Sage, Sprichwort und Rätsel“, daneben Flur-, Orts- und Familiennamen sowie Feste und (Kinder-)Spiele. Zum Zweiten nannte er „Rechtssymbole“, zu denen er neben Gebärden auch „gegenständliche Rechtssymbole“ wie „Erde, Halm, Zweig, Stein“, ferner Instrumente, Geräte, Waffen und Münzen zählte. Eine dritte Kategorie der rechtlichen Volkskunde bildeten für Künßberg die „Rechtsaltertümer“, also rechthistorisch bedeutsame Bauwerke und Stätten (Gerichtsorte, Galgenplätze usw.) sowie Kleindenkmale (etwa Grenzsteine und Sühnekreuze). Als Beispiel für weitere relevante rechtshistorische Realien nannte er die Schandgemälde.

Über Künßbergs Aufzählung wurde in der Forschung viel gestritten (vgl. die Literaturangaben unten). Eine positive Definition der Disziplin ist aufgrund der starken Überschneidungen kaum möglich, weshalb die meisten Vertreter des Fachs darauf verzichten. Wie sich aus dem Untertitel der einschlägigen Publikationsreihe „Signa Iuris“ ergibt, lokalisiert sich die Rechtliche Volkskunde in einem offenen Schnittbereich mit den Fächern der Rechtsarchäologie und der Rechtsikonographie. Heiner Lück schreibt hierzu 2012:
„Die Rechtsarchäologie ist eng verwandt mit der Rechtlichen Volkskunde, die sich ebenfalls mit dem Erkennen rechtsalltäglicher wie rechtspraktischer Tatsachen und Prozesse (vorzugsweise aus dem überlieferten Brauchtum) beschäftigt. Die Rechtliche Volkskunde bemüht sich, aus Volksbräuchen und anderen volkskundlichen Quellen, die nicht vordergründig rechtlich geprägt sein müssen (z.B. Kinderspiele, Märchen, Sagen, Volkslieder, Volkstänze), Rückschlüsse auf das rechtliche Zusammenleben der Menschen zu ziehen. Die Abgrenzung  beider Disziplinen ist zwar gefordert und mit einigen Kriterien  untermauert worden, doch gelang eine solche bislang nicht zufriedenstellend. Die Übergänge von Rechtsarchäologie zur Rechtlichen Volkskunde sind fließend.“
(Heiner Lück, Was ist und was kann Rechtsarchäologie?, in: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 8 [2012], S. 35–55, hier 40 f.).


Literatur über die Rechtliche Volkskunde als Forschungsfeld (in Auswahl)
 



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